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Eine Saison wie eine Sinuskurve

Sinuskurven sind sogar mir als mathematisch (sehr) durchschnittlich Begabtem ein Begriff. Sie verlaufen stetig auf und ab. Die Konstanz liegt in der Inkonstanz. Dafür sind die Saison und auch das gestrige Spiel das ominöse Paradebeispiel.

Vor Anpfiff war klar, dass eigentlich ein Dreier her muss, um sich nach unten Luft zu schaffen und sich gleichzeitig von der Packung in Dortmund zu rehabilitieren. Nach 33 Minuten hätten wohl die meisten, die es mit der Borussia halten, ein Remis unterschrieben, am Ende fühlte es sich gar ein bisschen wie ein Punktverlust an, doch der muss es nicht gewesen sein. Es gab einiges, was Mut macht.

Vor dem Spiel

Zunächst standen aber erst einmal Ereignisse im Mittelpunkt, die deutlich bedeutender sind als das Spiel mit dem runden Ball. Für Jordi Bongard gab es Schweigeminuten. Etwas Sorgenfalten bereite zudem die Nachricht, dass Bensebaini das Aufwärmen abgebrochen habe. Schlussendlich konnte der Linksverteidiger allerdings starten.

Hütter nahm drei Änderungen zur Vorwoche vor. Bei Marvin Friedrich war dies unfreiwilliger Natur, da er sich einen grippalen Infekt eingefangen hat. Für ihn kam Jordan Beyer in die Innenverteidigung. Die Dauerbrenner Koné und Breel Embolo wurden durch Christoph Kramer und Marcus Thuram eins zu eins in der Position ersetzt. Man agierte also wieder mit Dreierkette, zwei Flügelverteidigern, Doppelsechs und einer Doppelzehn hinter einem Stürmer. Elvedi gab den zentralen Mann in der Kette.

Wilder Beginn, alte Muster

Vor 10.000 Fans zeichneten sich bereits binnen weniger Minuten Muster ab, die nur allzu vertraut anmaßen Schon nach weniger als einer Minute hatte der bis dato in dieser Saison noch torlose Marcus Thuram die erste dicke Chance. Der erste Ballgewinn von Jonas Hofmann landete in Höhe der Mittellinie bei Neuhaus, dessen Pass auf Pléa nicht ganz ideal war, da er etwas kurz und mit zu wenig Tempo gespielt war. Ansonsten hätte der Franzose zentral vor dem Tor direkt ein eins gegen eins gegen Casteels gehabt. Er konnte den Ball dennoch kontrollieren und Thuram einbinden, der halblinks den Weg mitmachte. Der bedrängte Abschluss war aber kein Problem für Casteels, der noch häufiger im Mittelpunkt stehen sollte.

Das Anlaufen der Fohlen war sehr variabel. Häufiger war zu beobachten, dass man als Dreierreihe geschlossen die Passwege der Wolfsburger zustellte indem sich Thuram und Pléa breiter positionierten und Hofmann gar die Speerspitze an dieser Stelle gab. So erschwerte man die Aufbau über Arnold vor der Kette.

Beispielhaftes Anlaufen: Hofmann löst das Pressing aus, greift Bornauw an, dem noch der Rückpass zu Casteels oder der Querpass zu Lacroix bleiben. Thuram (rot eingekreist) steht in Arnolds Nähe (blau eingekreist) und stört so den Aufbau über den abkippenden Sechser. Casteels erhält den Ball, schlägt ihn lang und Thuram kommt in gute Abschlussposition (Schuss wird geblockt).

Die nächste Chance – zumindest im Ansatz – ergab sich erneut aus hohem Pressing, das Casteels zu einem weiten Ball zwang. Lainer spielte den Ball direkt zu Neuhaus, der zu Pléa köpfte und mit einem weiteren Kontakt legte Pléa den Ball auf den startenden Thuram ab, der allerdings nicht richtig zum Abschluss kam. Es zeigte sich bereits in der Frühphase, dass die Wolfsburger keineswegs sattelfest sind und auf Borussen-Seite blitzte immer wieder mal das spielerische Potential auf.

Kalte Dusche

Auch ein Spiegelbild der Saison: Während die eigenen Ansätze immer wieder zu erkennen sind und es bisweilen recht gefällig aussieht, kommt der Gegner mit einfachen Mitteln und wenigen Chancen zum Tor. So auch geschehen in der sechsten Minute. Ein weiter Ball Casteels‘ landete über Umwege bei Arnold. Beyer zeigte Neuhaus an, er müsse Kruse übernehmen. Dieser entschied sich dafür, Arnold zu pressen, der nun den Ball auf Kruse spielt. Sein Ball endet bei Ridle Baku auf der linken Defensivseite Borussias, Bensebaini steht eingerückt, nachdem sich das Geschehen zuvor am rechten Flügel abspielte.

Entstehung des 0:1: Beyer (roter Kreis) zeigt Neuhaus (roter Kreis) bereits an, dass er Kruse (blauer Kreis) decken soll.. Stattdessen rückt er auf den ballführenden Arnold. Es folgt der Ball auf Kruse, auf den Flügel – Tor. Die Schnittstelle zwischen Bensebaini und Beyer ist so groß, dass Arnold sogar den startenden Baku direkt hätte anspielen können, der möglicherweise direkt hätte Richtung Tor ziehen können.

Wie gegen Augsburg hat der gegnerische Rechtsverteidiger (damals Framberger) viel Platz und Zeit zum Flanken. In der Mitte ist einzig und allein Jonas Wind mitgelaufen, den Ginter überhaupt nicht stören kann. Der Däne läuft unbehelligt und geradewegs Richtung Fünfmeterraum und kann dort – mit etwas Glück – einschieben. Ein Muster, das, wie schon gesagt, das ein oder andere Mal zu beobachten war. Die Gäste pressten nach der frühen Führung eher halbherzig und störten den Gladbacher Spielaufbau eher wenig, sondern verlegten sich fortan aufs Kontern. Die letzte Reihe der Fohlen positionierte sich bei längeren Ballbesitzphasen in des Gegners Hälfte und schob somit weit raus.

Umkämpftes Spiel

Ansonsten ging der Spielaufbau wie zuletzt häufig über die Flügel. Erneut gab Ginter als rechter Innenverteidiger im Ballbesitz eher einen Rechtsverteidiger mit Lainer als Anspielstation vor ihm. Den Spielaufbau teilten sich in den vergangenen Wochen Neuhaus und Koné häufig, in dem sich einer der beiden fallen ließ und das Spiel ordnete. Mit Kramer neben ihm lief in dieser Hinsicht mehr über Neuhaus und er agierte wenig überraschend deutlich offensiver in seiner durchschnittlichen Positionierung. Im Vergleich zu den Vorwochen wurde allerdings die linke Seite ebenfalls vermehrt einbezogen, wohingegen das Rezept in einigen Spielen zuvor deutlich darauf abzielte, rechts vermehrt zu überladen.

Die nächste größere Chance hatte Jonas Hofmann, als er nach einem schönen Doppelpass mit Thuram im Wolfsburger Strafraum auftauchte, aber aus spitzem Winkel Casteels mehr oder weniger anschoss. Es zeigte allerdings, dass sich insbesondere Möglichkeiten boten, wenn man es schaffte, schnell, direkt und präzise zu kombinieren. Gefühlte zehn Sekunden später wurde einmal mehr das defensive Dilemma am Niederrhein offengelegt. Ein simpler langer Ball reichte aus, damit Wind alleine im Strafraum zum Abschluss kommen konnte. Beyer und Elvedi waren sich uneins, ließen den Ball springen und schon stand der Däne in guter Schussposition.

Drei Ecken, ein Gegentor

Wie schon angeklungen ist: Ja, die Borussen waren überlegen, sie hatten mehr Ballbesitz und im Passspiel gab es immer wieder sehenswerte Ansätze, jedoch suchte man richtige Torchancen mit Ausnahme von Hofmanns Abschluss zumeist vergebens. Klar, der VfL aus Wolfsburg stand tief nach der frühen Führung, aber war auch nicht ganz wind- und wetterfest in der Defensive – vor allem wenn Gladbach das Tempo anzog war dies spürbar. Und dass es gegen einen tiefstehenden Gegner essentiell ist, Tiefe zu finden, was meist mit schnellem Passspiel einhergeht, ist ja auch nichts Neues.

Nach einer Eckenserie der Gäste war man als Fan der Borussia sicherlich an dem Punkt, an dem man ein Unentschieden unterschrieben hätte. Die dritte Ecke in Folge von Maximilian Philipp landete auf dem Kopf von Bornauw, der im Fünfmeterraum fast ohne Gegenwehr einköpfen konnte. Abermals machte Matthias Ginter keine sonderlich glückliche Figur in dieser Situation, da er am Gegenspieler dran war, aber nicht entscheidend eingreifen konnte. Natürlich kommt der Ball im Fünfmeterraum runter, aber vor Yann Sommer ist so viel los, dass es schwierig erscheint, dort den Ball klären. Der Schlussmann sah im Anschluss noch gelb, weil er sich darüber echauffierte, dass Bornauw schon recht provokativ vor der Nordkurve zelebrierte – die Kölner Vergangenheit tat ihr Übriges.

Anschluss vor der Halbzeit, defensiv vogelwild

Manchmal ist es lustig, wie sich in wenigen Spielen bestimmte Dinge zeigen oder wiederholen. Vor dem Gegentor durch Iago gegen Augsburg konnte Ginter den Ball nur halbgar Richtung linken Flügel klären. Der Ball kam unmittelbar als Flanke zurück und Iago verkürzte. Diesmal waren die Borussen im Angriff und Arnold konnte den Ball für Wolfsburg nicht sichern, weil Pléa ihn aufmerksam abfing. Lainer spielte kurz wieder über Pléa und Thuram konnte zu seinem – endlich – ersten Saisontor einköpfen. Und auch hier war es wie gegen Augsburg, dass eine Flanke von Pléa an den Fünfmeterraum zum Tor führte. Thuram macht hier auch einen guten Laufweg und geht genau in die Schnittstelle zwischen Rechtsverteidiger Baku und Innenverteidiger Lacroix.

Nur Minuten später trat man allerdings wieder den Beweis an, dass man das mannschaftliche einer Berg- und Talfahrt ist.Man konnte Kruse nicht vom Ball trennen, obwohl man ihn mehr oder minder mit drei Mann presste. Stattdessen konnte er noch auf Arnold ablegen, der mit Tempo aus der eigenen Hälfte kam und nun Platz hat, nachdem Kruse drei Mann beschäftigte.

Die Entstehung der Chance von Philipp kurz vor der HZ: Arnold (blaues Rechteck) spielt auf Baku, Bensebaini schiebt drauf, will die Flanke verhindern (rote Linie). Damit steht Beyer zentral gegen zwei Wolfsburger (blaue Kreise) alleine. Ginter (roter Kreis) hat auf Wind rausgeschoben, Elvedi (rotes Rechteck) steht noch etwas höher vor Arnold, der den Ball gespielt hat. Zwischen Lainer und Beyer ist ein riesiges Loch, in das Philipp stößt.

Elvedi schiebt raus und löst nun die Dreierkette auf, Ginter steht vorgeschoben in Richtung Wind. Der Ball kommt abermals auf die linke Gladbacher Defensivseite, abermals kommt eine scharfe Hereingabe, abermals kommt ein gegnerischer Angreifer komplett ungehindert zum Abschluss und man hat einfach Glück, dass Philipp ihn übers Tor setzt.

Man war kurz davor, sich wieder das Mini-Momentum einzureißen, weil es defensiv vogelwild zugeht. Die fehlende Abstimmung ist in der ganzen Sequenz zu beobachten. Bensebaini rudert mit den Armen, als er auf Baku gehen muss, Ginter zeigt auf Philipp, als er diesen einlaufen sieht, Lainer gestikuliert ebenfalls nach dem Abschluss.

Viel Kontrolle, nicht ganz so viel Ertrag

In Halbzeit zwei zunächst das weitestgehend gleiche Bild. Die Gladbacher sind am Drücker, stehen hoch, wollen unbedingt den Ausgleich erzielen. Man hat viel Ballbesitz, teilweise sehr tief in der Hälfte der Niedersachsen und kam auch zu ein paar Abschlüssen, aber richtig gefährlich wurde es erst einmal nicht. Konstatieren lässt sich, dass das Pressing der Borussen über weite Strecken einen kontrollierten Spielaufbau verhinderte und man in der Regel recht schnell zurück in eigene Ballbesitzphasen kam.

Ein Beispiel für das suboptimale Defensivverhalten: Ginter (roter Kreis) eilt zurück, nachdem er Kruse in der Wolfsburger Hälfte zustellte. Wolfsburg verlagert schnell. Roussillion verzögert gegen Lainer, Neuhaus schiebt auch drauf (beide rotes Rechteck), aber Lainer kann sich nicht mehr zu Gerhardt (blaues Rechteck) fallen lassen., Ginter ist noch nicht in Position.

Bei den spärlichen Vorstößen deckten die Gäste jedoch immer wieder Probleme im Defensivverhalten auf und brachen in wenigen Augenblicken gleich zwei Mal am Flügel durch. Aus den Hereingaben entstand glücklicherweise nichts Zählbares, doch die Partie nahm kurz danach mehr Fahrt auf. Ein von Beyer eingeleiteter Angriff landete über Neuhaus, Lainer und Hoffman schlussendlich bei Ginter, der Casteels mit seinem Schuss von der Strafraumgrenze wieder einmal ernsthaft forderte.

VAR im Mittelpunkt

Fairerweise muss an dieser Stelle auch erwähnt werden, dass Fortuna (nicht die aus Düsseldorf) eher dem Niederrhein zugeneigt war. Ex-Gladbacher Max Kruse hätte eigentlich einen Foulelfmeter bekommen müssen, nachdem Manu Koné ihm übermütig auf den Fuß stieg. Wie diese Szene trotz VAR durchgewunken werden kann, ist tatsächlich schleierhaft.

Die nächste knifflige Entscheidung hatte Schiedsrichter Tobias Reichel wenige Minuten später zu fallen. Ein langer Ball von Koné, der eben noch defensiv im Blickpunkt stand, schickte Thuram ins Laufduell mit Lacroix. Beide versuchtein sich im griechisch-römischen Stil und zerrten aneinander, wobei Lacroix seinem Landsmann schon ordentlich im Gesicht herumfuhrwerkte und schlussendlich den Ball gut ersichtlich mit der Hand spielte – ein eindeutiger Platzverweis und Auftakt zum Sturmlauf der Borussen.

Furiose Schlussphase

Die erste größere Möglichkeit setzte Lainer nach einer Stafette über Thuram, Ginter und Hofmann mit der Innenseite knapp am langen Pfosten vorbei. Besonders über den rechten Flügel ging nach dem Platzverweis viel und es gelang immer wieder sich schnell und flach Richtung Grundlinie zu kombinieren. Der zweite Ball nach einer Ecke landete an der Strafraumkante bei Koné, dessen verdeckten Versuch Casteels ebenso parieren konnte wie Ginters Nachschuss und Pléa bringt den Abpraller aus drei Metern nicht unter, weil Mbabu noch entscheidend dazwischenfunkt und Pléa anschießt.

Thema Strafraumbesetzung: Gegen Dortmund ließ Kobel den Neuhaus-Schuss an den zweiten Pfosten abprallen, wo keiner mitgelaufen war. Beim Ausgleich war dieser nun durch Bensebaini besetzt, wenn Embolo die Flanke nicht bekommen hätte. Neuhaus steht im Rückraum, Hofmann bewegt sich auf den ersten Pfosten.

Mit schnellen und kurzen Pässen stellte die Offensive Wolfsburg immer wieder vor Probleme und spielte die Überzahl sehr gut aus. Pléas Pass auf Embolo brachte den nun eingewechselten Schweizer in gute Schussposition, doch wieder war bei Casteels Endstation (80.). Eine Minute später dann der hochverdiente Ausgleich und wieder was Alassane Pléa, der mit einer weiteren Maßflanke die Vorarbeit liefert, die Embolo am Fünfmeterraum per Kopf unbedrängt veredelte. Und im Gegensatz zu der ein oder anderen Situation in Dortmund stimmte hier auch die Besetzung der Box.

Hofmann hatte nach einer Embolo-Flanke noch eine gute Einschussmöglichkeit, war aber zu sehr davon überrascht, dass Brooks vor ihm über den Ball schlug.

Und natürlich hatte das Spiel noch einen finalen Aufreger parat. Als Ginter in der 90. den Ball zum vermeintlichen Siegtor in die Maschen drosch, war die Freude und Ekstase immens und umso schmerzhafter war der Aufprall, als der VAR den Treffer einkassierte. Es war definitiv ein Foul des eingewechselten Patrick Herrmann und Schiedsrichter Reichel war durch Hofmann, der genau parallel zu ihm lief, wohl die Sicht versperrt, weswegen er erst einmal weiterspielen ließ.

Am Ende des Tages fühlt es sich gerade wegen den letzten Minuten wie ein Punktverlust an. In Anbetracht des 0:2 Rückstandes und der erneut eklatant defensiven Anfälligkeit in Kombination mit der gezeigten Moral sollte man das Ergebnis eher als Punktgewinn einordnen – auch wenn ein Dreier fraglos geholfen hätte, sich etwas abzusetzen von den ganz bedrohten Rängen.

Das Diagramm unten veranschaulicht wunderbar, wie sehr Borussia dieses Spiel auch bereits vor dem Platzverweis eigentlich unter Kontrolle hatte. Umso ärgerlicher ist es, dass man sich zwei dermaßen unnötige Gegentore fing und erneut an der eigenen Effizienz scheiterte. Denn ein Sieg war gegen diese Wolfsburger allemal drin – auch in Gleichzahl.

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