Dank eines verdienten und über weite Strecken ungefährdeten Sieges gegen Hertha, verschafft sich die Borussia vorerst etwas Luft zum Durchatmen im Kampf gegen die Abstieg und distanziert die Hauptstädter damit auf nun sieben Zähler. Doch das nächste Spiel gegen einen direkten Konkurrenten steht bereits am kommenden Freitag in Bochum an.
Abteilung Attacke
Christian Peintinger vertrat seinen Chef gestern an der Seitenlinie behält durch den Sieg seine „weiße Weste“ bei – eine hundertprozentige Siegquote. Das Trainerteam gab bereits auf dem Spielberichtsbogen die Marschroute vor. Man kehrte mehr oder minder erwartungsgemäß zur Dreierkette zurück. Die Innenverteidigung bildeten Elvedi in der Zentrale, Ginter auf halbrechts und Beyer auf halblinker Position. Die beiden Flügelverteidiger waren, wie in der Frühphase der Saison, Joe Scally, der für den zuletzt erkrankten Lainer in der Mannschaft blieb, und Luca Netz, der wiederum für den gelbgesperrten Bensebaini beginnen durfte.
Vor der Abwehr entschied man sich mit Koné und Neuhaus daher fast folgerichtig ebenfalls für die offensivere Ausrichtung und damit gegen Christoph Kramer. Da die Grundformation unverändert blieb, bekleidete Embolo neben dem formstarken Pléa die Position des zweiten Zehners hinter der einzigen Spitze Marcus Thuram und vertrat damit den verletzten Jonas Hofmann.
Hertha hingegen bot zwar zwei „echte“ Spitzen mit Selke und Belfodil auf, aber die Ausrichtung war einzig und allein aufs Verteidigen ausgelegt. Acht Feldspieler in der Startformation haben ihre Qualitäten eher gegen den Ball.
Viel Kontrolle und sehr engagiert
Es war vom Anpfiff an zu spüren, dass die Mannschaft sich der Tragweite dieses Spiels bewusst war. Körpersprache und Engagement waren deutlich verbessert im Vergleich zum fahrigen Auftritt in Stuttgart. Insbesondere Marcus Thuram, der – nicht zu unrecht – im Laufe dieser Saison schon häufiger für seine Lässigkeit kritisiert wurde, spielte wieder so auf, wie man ihn aus „alten Zeiten“ kennt, war bemüht und sehr beweglich. Er hatte auch die erste halbwegs gefährliche Situation nach wenigen Sekunden, als Embolo ihm den Ball in den Lauf köpfte, der Franzose diesen aber nicht vollends kontrollieren konnte.
Bei der ersten dickeren Möglichkeit hatten alle Offensivkräfte ihre Füße im Spiel. Nach einem Fehlpass der Berliner kommt der Ball zu Pléa, der sofort umschaltet und Thuram in die Tiefe im rechten Halbraum schickt. Seinen zurückgelegten Pass kann Embolo allerdings nicht platzieren und schießt in die Arme von Lotka. Obwohl die Gäste sehr tief standen, schaffte man es immer wieder, in die Tiefe zu kommen, weil die Läufe angeboten wurden und bei einer sich bietenden Passmöglichkeit schnell und präzise reagiert wurde.
Verhaltenes Pressing
Beide Mannschaften ließen den jeweils anderen im Ballbesitz weitestgehend gewähren und reagierten auf den Ballvortrag zumeist mit Mittelfeldpressing. Koné und Neuhaus kippen wie gewohnt immer wieder ab, um sich den Ball vor der Kette abzuholen. Besonderes Augenmerk legte Tayfun Korkut hierbei auf Florian Neuhaus, der von Ascacíbar einen direkten Gegenspieler zugewiesen bekam, der ihn bereits in der Gladbacher Hälfte presste. Dennoch verstand man es, sich immer wieder gut aus diesen wenigen Herthaner Pressingmomenten in der ersten Halbzeit zu befreien.
War die erste Pressinglinie erst einmal überspielt, so waren die Gäste darauf bedacht, möglichst wenig anzubieten und standen daher nicht selten mit allen Feldspielern rund 30 Meter vor dem eigenen Tor, um bei Ballgewinn den Ball schnell nach vorne zu bringen und steil zu spielen. Nach einem Halbfeld-Freistoß von Pléa verpasste Embolo mit einem kunstvollen Schlenzer nur knapp den Führung. Der Ball sprang vom rechten Pfosten zurück ins Feld und konnte geklärt werden.
Hohe Flügelverteidiger
Ein Mittel, um die defensiven Berliner zu knacken, war das schnelle Umschalten und das zügige Nachrücken, wenn sich die Gelegenheit bot. Man wollte die Unordnung ausnutzen und stieß mit Tempo nach in die Tiefe. Insbesondere Scally und Netz taten sich diesbezüglich hervor und versuchten, immer wieder Läufe anzubieten, um in den Rücken der Kette zu kommen. Wenn das Spiel „stand“ positionierten sie sich ebenfalls recht hoch, um weitere Anspielstationen zu bieten, mit denen man die Defensive bespielen kann.
Man merkte der Mannschaft an, dass die Unterstützung der über 30.000 Zuschauer im Stadion sie antrieb und mit jeder gelungenen Aktion, mit jeder Kombination wurde die Brust etwas breiter und plötzlich funktionierten auch Dinge, die in den Wochen zuvor mutmaßlich schiefgelaufen wären. Die offensive Dreierreihe interpretierte das Offensivspiel recht variabel, Thuram wich immer wieder in die Halbräume aus und suchte von dort den Weg Richtung Tor. Nach einem energischen Antritt und einem Haken setzte er seinen Schuss in in der 14. Minute leider etwas zu hoch an.
Unten ein Beispiel des Aufbaus. Man überlädt die rechte Seite mit Ginter, Embolo und Scally. Neuhaus entzieht sich Ascacíbar etwas, Ginter hat in perfekter Dreiecksbildung zwei Anspielmöglichkeiten mit Neuhaus und Embolo. Koné verschiebt gleich auch noch rechtsorientiert (rotes Rechteck, erstes Bild). Ginter erhält den Ball von Embolo zurück, spielt Koné an, der nach einem kurzen Doppelpass mit Neuhaus in die Situation aus Bild zwei kommt und dort den Ball führt. Thuram bindet mit Pekarik den Berliner Flügelverteidiger (beide markiert). Dadurch kann Netz auf der verwaisten Seite in seinem Rücken einen Tiefenlauf anbieten. Scally (unterer Bildrand) tut es ihm gleich.
Klassischer Thuram
Mit der nächsten Aktion geschah etwas, was Fans der Borussia kennen schon häufig sahen: Marcus Thuram wird nach einem Steilpass in den gegnerischen Strafraum geschickt und holt im Duell mit seinem Gegenspieler einen Elfmeter heraus. Auch wenn dieser erst nach Einsatz des VAR gegeben hatte, obwohl er doch recht eindeutig war.
Großen Anteil an dieser Aktion hat Luca Netz, der nach einem technischen Fehler von Pekarik reaktionsschnell und robust in den Zweikampf geht, den Ball erobert und ihn zu Koné bringt. Der Franzose spielt kurz zu Embolo und dieser bedient Thuram mustergültig. Kempf entscheidet sich für die Grätsche und trifft einzig und allein Borussias Angreifer. Den fälligen Schuss vom Punkt versenkt der mit Sommer beste Borusse der letzten Wochen souverän. Saisontreffer Nummer sechs für Pléa.
Erwähnenswert sind auch die von Netz getretenen Ecken, die immer wieder für Gefahr sorgten und im Vergleich zu den letzten Wochen eine Verbesserung darstellten. Bis hierhin hatten die Fohlen die Partie und den Gegner komplett im Griff. Von der Alten Dame kam in Durchgang eins offensiv wenig, was die zuletzt defensivschwachen Fohlen in Bedrängnis bringen konnte.
Doch nach dem Gegentreffer gestalteten die Berliner ihr Pressing aggressiver und liefen auch höher an. Auch wenn der Ball von Embolo auf dem Bild etwas zu lang ist, so zeigten sich die Räume, die sich Herthas höhere Positionierung gegen den Ball ergab.
Schlagabtausch vor der Halbzeit
In der Folge nahm das Tempo zum Ende der ersten Hälfte hin mehr Tempo auf. Die Berliner öffneten Räume durch die höhere Staffelung, die Fohlen spielten diese immer wieder an und versuchten, daraus Kapital zu schlagen und schnell in die sich bietenden Räume zu kommen. So hatte man kurz vor dem Seitenwechsel nochmals eine sehr gute Gelegenheit, die Führung auszubauen.
Hertha setzt sich mit allen Spielern tief in der Borussen-Hälfte fest und schiebt folglich die letzte Reihe sehr hoch. Pléa und Thuram sind auf Seiten der Fohlen die höher stehenden Spieler. Pléa läuft Kempf an, der auf Plattenhardt spielen will. Scally rückt entschlossen raus und leitet damit maßgeblich einen gefährlichen Konter ein. Thuram macht sich auf den Weg und zieht alleine Richtung Tor, Scally spielt mit einem Kontakt zu Pléa, der seinen in Position gelaufenen Landsmann perfekt anspielt.
Leider wird diesem Angriff allerdings die Krönung verwehrt. Gladbachs Nummer Zehn will am Herthaner Schlussmann vorbei, nimmt den Ball aber technisch unsauber mit und gibt Kempf so die Möglichkeit, noch einmal in den Zweikampf zu kommen. Ob das Tackling sauber war oder ein Foulspiel, ist eine andere Frage, die man sicherlich in beide Richtung argumentieren kann.
Zu passiv nach der Pause
Korkut reagierte zu Beginn der zweiten Halbzeit und brachte mit Serdar für Ascacíbar einen spielstärkeren Mann fürs Zentrum. Der Argentinier gab seinen Sonderauftrag – die Bewachung von Neuhaus im Aufbau – nach dem Rückstand auf und musste anschließend weichen. Für das erste offensive Lebenszeichen nach dem Seitenwechsel zeichneten sich Thuram und Pléa verantwortlich. Diesmal in umgekehrter Reihenfolge, wenn man die Großchance vor der Halbzeit zugrunde legt.
Nachdem die Berliner recht forsch aus der Pause kamen, konnten Beyer und Netz an der eigenen Grundlinie den Ball erobern und zu Thuram spielen. Mit einem dynamischen Antritt schleppte er den Ball vom eigenen Sechzehner bis rund 30 Meter vor das Berliner Gehäuse – quasi „Coast to Coast“ – und hatte dort noch das Auge für den bis dato einzigen Torschützen des Abends.
Leider stimmen die Laufwege von Pléa und Embolo in dieser Situation nicht ganz, sodass sie sich in den selben Raum bewegen und der Schweizer den Franzosen bei dessen Abschluss eher etwas behindert und der Schuss geblockt werden kann.
Man verlegte sich aufs Kontern, ließ die Abstände im Anlaufen größer werden und stand auch recht tief. Als Folge schnupperte der Berliner Sport-Club zunehmend Morgenluft und Sommer musste vermehrt bei den von Plattenhardt getretenen Ecken eingreifen. Es war mitnichten so, dass ein Hochkaräter nach dem anderen auf das Gehäuse der Borussen zurollte, aber man eröffnete dem Gegner die Chance, noch einmal zurückzukommen.
Tor zum richtigen Zeitpunkt
In diese kleinere Drangphase der Hauptstädter hinein konnten die Elf von Adi Hütter die Führung erhöhen. Pléa leitete zunächst wieder einmal als absoluter Aktivposten einen Angriff ein und spielte Thuram an, der immer wieder auf die Flügel auswich. Er konnte sich gegen Gechter und den zurückeilenden Pekarik durchsetzen und spielte Scally an. Den Abschluss des US-Amerikaners aus knapp sieben Metern konnte Lotka über die Latte lenken.
Die anschließende – erste und einzige Borussen-Ecke nach dem Pausentee – von Ex-Herthaner Luca Netz fand präzise den Kopf von Ginter, der wuchtig einköpft. Ginter kommt mit ein paar Schritten Anlauf und kann kraftvoll in den Ball „reingehen“ und so vollstrecken. In der 65. Minute musste Hütter-Vertreter Peintinger verletzungsbedingt wechseln. Für Pléa, der zurecht mit Sprechchören bedacht wurde, kam Kramer in die Mannschaft und gab fortan den den Sechser. Koné und Neuhaus agierten vorgezogen, Embolo spielte etwas hängend hinter Thuram.
Erneut ließ man sich nach dem Führungstreffer tief fallen und überließ Berlin das Spielgerät. Das hätte sich beinahe gerächt, als der eingewechselte Niederländer Ekkelenkamp mit einem feinen Schlenzer glücklicherweise nur die Latte traf. Sommer konnte nur hinterher schauen. Vorausgegangen war ein Ballverlust von Neuhaus in zentraler Position, der dies ermöglichte.
Der von Krämpfen geplagte Netz machte in der 78. Minute Platz für Lainer und Scally wanderte auf die gegenüberliegende Seite als Flügelverteidiger und half dort mit, den Sieg nach Hause zu bringen. Abgesehen von Abschlüssen aus der zweiten Reihe brachte Hertha nicht viel zu Stande.
Ansonsten tat sich nicht mehr viel. Lars Stindl durfte nach seiner Verletzung erstmals wieder ein paar Minuten mitwirken und betrat in der 89. Minuten für den sehr auffälligen Marcus Thuram den Rasen. Am Ende steht gegen biedere Berliner ein ganz wichtiger Dreier, mit dem man sich für den Moment etwas lösen kann. Der Gast brachte hatte zwar nach dem Seitenwechsel eine kleinere Druckphase, brachte die Abwehrreihe um Nico Elvedi aber selten in Verlegenheit und man hatte das Spiel insgesamt gut im Griff. Allerdings ist man noch lange nicht „durch“. In Bochum geht es weiter und das wird sicherlich ein ganz anderes Spiel, in dem wieder eine Top-Leistung nötig sein wird.