You are currently viewing Banger Blick zurück

Banger Blick zurück

Es hätte ein weiterer Schritt aus dem Keller werden können am Samstagabend. Nachdem Hertha gegen die Eintracht unterlag, war die Chance da, den Vorsprung auf den Relegationsplatz auf sieben Zähler auszubauen und damit vor dem Heimspiel gegen die Berliner den Druck weiter zu erhöhen. Was stattdessen folgte: Die schwächste Halbzeit einer schon schwachen Saison.

Zurück zur Viererkette

Vor 25.000 Zuschauern begannen die Borussen (seit wann das erste Mal?) mit einer Viererkette, die von Bensebaini, Elvedi, Ginter und Scally gebildet wurde, der für den kurzfristig erkrankten Lainer in die erste Elf rutschte und das erste Mal seit Dezember 2021 von Anfang an ran durfte. Marvin Friedrich ist nach seiner Erkältung indes noch nicht wieder einsatzfähig und auch für Tony Jantschke reichte es nicht für den Kader. Die Frage, ob Koné oder Kramer neben Neuhaus in der Zentrale starten erübrigte sich recht schnell, da beide das Zentrum beackern sollten.

Kramer gab dabei den klareren Sechser, Koné und Neuhaus agierten etwas vorgezogen in einem 4-3-3. Die Offensivpositionen bekleideten erwartungsgemäß Hofmann auf der rechten Seite, Pléa auf links und im Sturmzentrum erhielt Marcus Thuram nach seinem Premierentreffer in der Liga letzte Woche den Vorzug vor Embolo. Der VfB wählte die selbe Formation. Links hinten kehrte erwartungsgemäß Borna Sosa zurück, im Angriff wurde Kalajdzic von Tiago Tomás und Omar Marmoush auf den Flügeln unterstützt.

Abwartender Ansatz

Die Fohlen reisten offensichtlich mit Vorgabe an, kompakter stehen zu wollen. Folglich reagierte man auf den Ballbesitz der Schwaben mit Mittelfeldpressing und bemühte sich, die Abstände möglichst gering zu halten und wenig Raum anzubieten, während man den Gastgebern bereitwillig den Ball überließ. Durch die Viererkette ergab sich entsprechend auch ein anderes Muster im Aufbau. Beide Innenverteidiger auf Seiten der Fohlen standen zumeist breiter, wodurch sich ein zentraler Mittelfeldspieler – meist Koné oder Kramer – fallen ließ, um den Ballvortrag zu unterstützen.

Probleme im Spielaufbau: Kramer (ballführend) kippt ab, hat aber wenig Möglichkeiten. Scally auf rechts ist nur per Chip anspielbar, weil Marmoush im Passweg steht. Neuhaus (unteres rotes Rechteck) wird von Endo beschattet, der herausrückt. Es folgt der Ball zu Koné im Halbraum, der nur klatschen lassen kann, weil Führich ihn sofort presst, und anschließend ein langer, zu ungenauer Ball auf Bensebaini (nicht im Bild) -> Ballbesitz VfB

Anders als beim Aufbau mit drei Innenverteidigern, wo Ginter zuletzt an der rechten Seitenlinie stand und die Spielgestaltung über den rechten überladenen Flügel ankurbelte, standen er und Elvedi in der Viererkette zentraler. Koné bot sich im im Aufbauspiel vor der Kette an, um dort den Ball in Empfang zu nehmen oder ließ sich zwischen beide Innenverteidiger fallen.

Dennoch musste es sehr häufig über den langen Ball gehen, da die Borussen immer wieder Schwierigkeiten hatten, sobald die Schwaben hoch pressten. Ein paar Zahlen als Quervergleich, auch wenn die Herangehensweise diesmal bewusst anders gewählt wurde.

Pässe gegen Wolfsburg: Beyer 76, Ginter 83, Elvedi 82, Sommer 38. Gespielte Pässe gestern Abend laut SofaScore: Elvedi 83, Ginter 58, Sommer 51. Zu selten wurden hier Lösungen gefunden, um kontrolliert einen Angriff aufzuziehen. Dieses Thema zieht sich auch schon etliche Jahre durch die Mannschaft. Werden wir hoch angelaufen, so tun wir uns schwer, trotz aller spielerischen Klasse, uns daraus zu befreien.

Entstehung der Chance und wie es gehen kann: Sosa (blaues Rechteck) hat meistens den Vorwärtsgang drin, spekuliert hier darauf, dass Koné (rotes Rechteck) auf Scally ablegt und rückt aggressiv raus, womit er den Raum hinter sich öffnet für Thuram.

Wie es doch einmal gehen, zeigte die sechste Minute, als Koné einen Pass von Sommer direkt mit der Hacke steil in Thurams Lauf weiterleitet, der sich gegen Ito behaupten kann und eine punktgenaue Flanke auf Bensebainis rechten Fuß serviert. Leider trifft der Algerier den Ball nicht richtig und es springt nichts Zählbares heraus. Eingeleitet wurde der Angriff über die rechte Seite der Gladbacher. Man machte sich hier zu Nutze, dass Sosa seine Position extrem offensiv interpretiert und hinter ihm Räume entstehen, in die man stoßen kann.

Führung aus dem Nichts

Obwohl man defensiv geschlossener stehen wollte, klappte dies in Summe, trotz späterem Anlaufen und einer deutlich tiefer positionierten Kette, viel zu selten. Die Stuttgarter erspielten sich nicht im Minutentakt Hochkaräter, doch sie schafften es immer wieder, in die Tiefe zu gelangen und wenn nichts half, dann spielte man Kalajdzic hoch an, der die Bälle festmachen sollte. Ein erstes Beispiel ist hierfür die Schusschance von Sosa, der sich in Scallys Rücken freiläuft und von Ito mit einem langen Ball auf die Reise geschickt wird. Das Duell des Kroaten gegen Scally sollte sich noch häufiger als absolutes Mismatch erweisen.

Dass man vor der überraschenden Führung nicht in Rückstand geriet, ist wieder mal Yann Sommer zu verdanken. Nachdem die Borussen aufrückten und nicht zum Abschluss kamen, bediente Karazor Tiago Tomás, der mit Tempo Richtung Strafraum zog und von Bensebaini auch nicht per Grätsche zu stoppen war. Die Parade gegen den Schuss des Portugiesen war einmal mehr extraklasse.

Nur eine Minute später erzielte Pléa nach einem feinen Angriff den Führungstreffer. Über Koné, Pléa und Neuhaus erreichte der Ball Thuram am linken Flügel. Dieser spielte einen Doppelpass mit Landsmann Koné und bezog anschließend mit Pléa den dritten Franzosen im Bunde ein, der rund 28m halblinks vor dem Tor in Ballbesitz gelangte, kurz nach innen kurvte und Neuhaus anspielte, der die Kugel direkt in den Lauf chippte. Beim Abschluss war etwas Glück im Spiel, dass Müller ihn nicht um den Pfosten drehen konnte. Durch die ungewohnte Effizienz und den ersten gescheiten Angriff lag man nun schmeichelhaft in Führung.

Entstehung der Führung: Plea (ballführend) ist an Führich vorbei, Karazor schiebt drauf, um Druck auszuüben. Hofmann (im Strafraum, rotes Rechteck) bindet Gegenspieler Mavropanos durch eine Auftaktbewegung nach links und zieht ihn damit raus. Neuhaus fordert vorm Sechzehner den Ball, Ito ist auf dem Weg ihn zu pressen und öffnet den Raum, in den Pléa im rechten Bild gleich stechen wird.

Ungewohnte Effizienz auf Gladbacher Seite

Wer meinte, dass die Führung der Mannschaft Sicherheit geben sollte, sah sich jäh getäuscht. Es spielte weiter fast ausschließlich der VfB. Offensive Akzente suchte man bei den Niederrhein vergebens. Auch die Standardsituationen brachten nichts ein und verpufften wirkungslos.

Ein weiterer Beleg für die Schwierigkeiten im Aufbau. Sommer bleibt nur der lange Ball auf die Außenverteidiger oder Pässe über fünf Meter zu Ginter/Elvedi

Defensiv stimmte, wie schon leider gewohnt, zu häufig nichts. Insgesamt rollten im Laufe des Spiels 47%(!) aller Stuttgarter Angriffe über die Seite von Joe Scally beziehungsweise Borna Sosa. Der Außenverteidiger ist, wie im Vorbericht angemerkt wurde, alleine für über 43% aller Flanken der Gastgeber in dieser Saison verantwortlich. Es war zu erwarten, dass mit der Rückkehr des Linksverteidigers und Kalajdzic dies ein häufig genutztes Mittel sein wird. Wir lassen den Gegner zu häufig flanken. Genau so entstanden in den letzten Wochen Tore und Großchance insbesondere für Wolfsburg und Augsburg, wo Baku und Framberger ihren Offensivdrang ausleben durften.

So hatte man Glück, dass Kalajdzic eine Sosa-Flanke nach 24 Minuten hauchzart am Pfosten vorbeinickte und kam mit dem zweiten sehr schönen Angriff direkt zum zweiten Treffer und damit leider auch zum letzten Highlight der Fohlen an diesem Abend. Bensebaini löffelte einen halbhoch geschlagenen Ball direkt zu Pléa weiter, der per Kopf auf Neuhaus ablegte. Der deutsche Nationalspieler hat viel Platz im Mittelfeld und nimmt den startenden Hofmann mit, der ins Zentrum zieht. Links macht Pléa mit, wird von Hofmann perfekt angespielt und die flache Hereingabe auf Thuram am zweiten Pfosten ist nicht minder perfekt. Ein fabelhafter Angriff, der den Fan noch verwirrter zurücklässt, wenn man sich anschaut, zu was die Spieler in der Lage sind.

Quittung für Passivität

Das 1:2 fing man sich postwendend ein – und man trug erheblich selbst dazu bei. Sosa spielt am Flügel Tomás frei, die Flanke kommt flach Richtung Fünfmeterraum. Bensebaini kann alles mit dem Ball machen, schiebt ihn quer mit der Innenseite in die Füße von Endo und zu allem Überfluss wird der Schuss auch noch von Elvedi abgefälscht und landet knapp drei Minuten nach dem eigenen Treffer hinter Sommer im Tor.

Einfach schön gespielt: Hofmann geht nach innen, Thuram kreuzt zum zweiten Pfosten, perfektes Anspiel von Pléa, Tor

Und es wurde noch schlimmer in der zweiten Halbzeit. In einer schon bescheidenen Saison dürften dies die 45 schlimmsten Minuten der aktuellen Saison sein. Was sich im ersten Durchgang bereits mehrmals andeute, führte sich in extremer Form nun fort: Sosa war absolut nicht in den Griff zu bekommen und es gab keinerlei Entlastung. Das schlechteste Heimteam der Liga, das seit drei Monaten (!) kein Heimspiel gewann, stellte die Fohlen vor unlösbare Probleme. Wer sich die Interviews von Yann Sommer und Christoph Kramer nach Schlusspfiff anhört, dem muss der Allerwerteste gehörig auf Grundeis gehen.

Entstehung des 2:2: Tomás bricht durch. Scally nimmt Blickkontakt mit Marmoush auf, deckt ihn. In seinem Rücken kommt Führich mit Tempo. Koné und Hofmann sind zumindest in der Nähe. Hofmann schaut einmal hoch, Koné hingegen nur auf den Ball und nimmt Führich erst wahr, als er einköpft.

Kein Zugriff

Wer sich den Gegentreffer zum Ausgleich anschaut, dem wird bewusst, wie einfach wir in Verlegenheit zu bringen sind. Die Viererkette steht eigentlich, Kramer und Koné sind vor der Kette postiert. Ein Steilpass von Endo auf Tomás über Bensebainis Seite reicht, um Panik auszulösen. Gegenspieler Tomás dringt mit Tempo in den Strafraum ein. Die Flanke kann Ginter noch klären, den Nachschuss von Kalajdzic kann Bensebaini auch noch irgendwie abfälschen, doch am zweiten Pfosten ist absolut niemand mit Führich mitgelaufen, der den Ball aus 2 Metern einköpfen kann.

Systemumstellung auf 4-1-4-1

Nach der Führung versuchte Hütter nun, weniger Räume zu geben und stellte gegen den Ball auf 4-1-4-1 um, indem er Pléa und Hofmann zurückzog auf Höhe von Koné und Neuhaus. Wohl auch in der Hoffnung, die Flügel besser zu verteidigen und eine schwieriger zu überspielende Pressinglinie aufzubauen, was leidlich gelang. Kompakter wurde es lediglich auf dem Papier nicht aber auf dem Platz. Mit dem Ball wusste man ebenso herzlich wenig anzufangen. Ständig verlor man das Spielgerät durch ungenaue Anspiele.

4vs2: Langer Ball Sosa, Ablage in den Rückraum, 100%ige Torchance. Sowohl Bensebaini als auch Elvedi orientieren sich zu Kalajdzic, keiner passt auf, was am Strafraumrand passiert.

In der 67. Minute durfte man sich erneut bei Sommer bedanken, dass es noch beim Unentschieden blieb. Und auch dieser Angriff zeigt, dass grundlegende Dinge nicht stimmen. Denn es war mehr Karo einfach als phänomenal herausgespielt. Das Muster wiederholte sich dabei regelmäßig. Ball zu Sosa, Flanke, Kalajdzic schließt ab oder legt auf. Der Rückraum war wieder gänzlich verwaist. Der österreichische Stürmer muss nur abtropfen lassen, damit Tomás aus fünf Metern alleine vor Sommer auftauchen kann.

Es dauerte bis zur 71. Minute (!), ehe man einen nennenswerten Angriff in der zweiten Hälfte zu sehen bekam. Bensebaini marschierte die Linie entlang, spielte flach in den Sechzehner und Neuhaus konnte immerhin mal den Abschluss suchen.

Stuttgart drückt auf den Sieg

Alle auf einer Linie, keiner hat den Blick für den Rückraum

Das war auch schon alles offensiv Erwähnenswertes. Der VfB griff weiter munter nach Schema F über Sosa an, der auch immer wieder aus der eigenen Viererkette gezielt mit langen Bällen angespielt wurde. Joe Scally wurde kein Gefallen damit getan, ihn dort 90 Minuten gegen Sosa spielen zu lassen. Nachdem der junge Amerikaner immer wieder sichtbar überfordert war, wurde ihm auch von seinen Teamkollegen wenig geholfen und er immer wieder alleine ins Duell geschickt.

Konsequenterweise lieferte Stuttgarts Linksverteidiger auch den Assist zum Siegtreffer. Den Freistoß konnte Sommer noch parieren und auch danach hätte man die Szene komplett verhindern können. Thuram lässt Sosa jedoch ohne größere Entschlossenheit vorbeiziehen und kann die Flanke nicht unterbinden. Wie im Strafraum verteidigt wird, illustriert das Bild oben. Kalajdzic erhält den Ball im Rückraum und schiebt souverän ein.

Virkus schiebt Trainerdiskussion Riegel vor

Wie man sich beim Tabellenvorletzten präsentierte, ist schlicht und ergreifend unfassbar. Auch eine Aufholjagd gegen Wolfsburg und eine zwei Tore Führung auswärts reichen nicht, um irgendetwas zu beruhigen geschweige denn Sicherheit auszustrahlen. Das zeigt, wie es aktuell um die Borussen bestellt ist. Gegen die Hertha ist nun – wieder einmal – ein Sieg absolut Pflicht. Man will sich gar nicht ausmalen, was im Falle einer Niederlage los wäre.

Roland Virkus schmetterte eine Trainerdiskussion in aller Deutlichkeit ab, doch die schon weiter oben angesprochenen Interviews von Führungsspielern wie Kramer und Sommer lassen erahnen, dass das Gebilde nicht mehr nur überaus fragil ist, sondern deutliche Risse aufweist, wie Kramer mit seiner Bestätigung der „Grüppchenbildung“ untermauerte.

Man fand keinerlei Zugriff in der zweiten Hälfte, Borna Sosa durfte flanken, wie er lustig war und hat nach Spielende alleine neun Flanken verbucht, die – Überraschung! – häufig Gefahr ausstrahlten und auf Kalajdzic als Abnehmer abzielten. Außerdem bekam man offensiv mit Ausnahme zweier lichter Momente nichts zustande, was Mut machen könnte. Man lebt von diesen Momenten und der individuellen Qualität. In dieser Verfassung, mit all den Baustellen, kann einem Angst und Bange werden.

Nach der Hertha muss man nach Bochum, bevor man es mit Mainz, Fürth, Köln, Freiburg, Leipzig, Frankfurt und Hoffenheim zu tun bekommt. Gegen Hertha und den Gegner aus der Relegation muss aber mal ganz dringend gepunktet werden.

Artikel teilen

Kommentar verfassen

0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments